Tag 9: Von Lungden über den Renjo La Pass nach Gokyo

Sonntag, 4. Mai 2025

Der Wecker riss mich um 5:10 Uhr aus einem Schlaf, den ich kaum erwartet hatte. Ich musste doch eingeschlafen sein – ein kleines Wunder in dieser dünnen Luft, wo die Nächte oft mehr aus Warten als aus Ruhen bestehen. Gewöhnlich war ich zu dieser Stunde längst wach, das Dunkel durchmessend mit flachen Atemzügen und rastlosen Gedanken.

Das Frühstück war ein flüchtiges, noch im Halbdunkel des Morgens: um 5:30 Uhr standen Brot, ein wenig Tee und schlichtes Beiwerk bereit, während Janack, der stets heiter wirkende Porter, sein Gepäck schon ordnete. Er, der für einen kargen Lohn von zweitausend bis dreitausend Rupien am Tag, von dem Essen und Unterkunft noch abgingen, diese Lasten trug – am Ende bleiben ihm kaum fünfeinhalb Euro. Und dennoch, seine Augen lachten, als gehörten ihm die Berge.

Um sechs Uhr brachen wir auf. Selbst die Yaks schliefen noch, als wir die ersten steilen Meter hinter der Lodge angingen. Der Weg kannte keine Gnade: er stieg an, unerbittlich, in langen, schweigsamen Schleifen, bis er nach sechseinhalb Kilometern auf einer Hochebene sein erstes Innehalten gewährte.

Hier brach die Sonne durch – zaghaft, als müsse sie erst prüfen, ob wir ihrer würdig seien.

Am Ende dieser weiten Ebene glitzerte ein See, stumm und still,

… und hinter ihm begann das, was sich wie eine Ewigkeit anfühlte: das endlose Treppensteigen, Stufe um Stufe, bis zur Krone des Renjo La Passes, 5.380 Meter über dem Meer, wo der Himmel dünn und die Gedanken sonderbar hell werden.

Doch die Sonne, eben noch Begleiterin, verschwand bald wieder hinter grauen Wänden, und der Schneefall setzte ein, sacht, dann dichter, bis die Sicht sich auf wenige hundert Meter schloss.

Die Aussicht, von der die Berichte raunten, blieb uns verwehrt –

und dennoch: das Erreichen der Höhe selbst war wie ein stilles Gelübde, das eingelöst wurde. Wir setzten uns, nahmen unser spärliches Lunch zu uns und spürten die eigentümliche Klarheit, die nicht vom Blick, sondern von der Anstrengung kam.

 

Und während wir so saßen, und sportliche Grüße in die Welt schickten, geschah das Unwahrscheinliche: ein Jogger, sehnig, kurzatmig, doch leichten Schrittes, tauchte auf, wechselte ein paar Worte in Nepali und entschwand wieder, als sei er Teil eines anderen Elements.

Der Abstieg nach Gokyo begann über ein schmales Schneefeld, führte lange an einem Geröllhang entlang und schließlich, dem See zur Seite, tiefer, immer tiefer, zurück in die Schwere.

 Elf Kilometer, über tausend Höhenmeter, und jede Stufe hinab war ein Schritt in jene Demut, die die Höhe so wortlos fordert.

Ein Krankenhaus brauchte ich nicht – nur die Stille der Tiefe.

Am Ende dieses langen Lauftages bekamen wir nach über 11km und über 1.000 Höhenmeter zur Belohnung eine wunderbare Sicht auf Gokyo.

Als wir endlich Gokyo erreichten, war es kein Triumph, der uns erfüllte, sondern dieses stille, erschöpfte Wissen: Man lebt, weil man herabgestiegen ist. Der Körper war müde, ausgezehrt, aber nicht gebrochen.

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