Tag 11: Von Gokyo nach Dragnak

Dienstag, 6. Mai 2025

Der Morgen begann ungewohnt spät. Erst gegen acht Uhr fanden wir uns zum Frühstück ein, und zum ersten Mal seit Tagen schien der Magen nicht im Aufruhr, sondern beinahe geneigt, Frieden zu schließen. Apple Pancakes mit Honig – eine kleine Geste der Süße in dieser kargen Welt – und siehe da: kein Widerstand, kein Aufbegehren. Ich nahm es als gutes Zeichen, als stillen Wink des Körpers, dass der Weg weitergehen dürfe.

Mit diesem Zeichen im Herzen brachen wir nach Dragnak auf. Der Weg führte uns, kaum merklich langsam, hinauf auf den Ngozumba-Gletscher. Der Himmel hing wolkenschwer, und die Pfade zogen sich entlang der Kanten und Abbrüche, schlangen sich zwischen kleinen, graublauen Gletscherseen hindurch, die wie blinde Augen im Eis lagen.

Der Ngozumba, fast achtunddreißig Kilometer lang, ältester und längster seiner Art im Himalaya, bewegt sich mit beharrlicher Trägheit: zwanzig Meter im Jahr, fünf Zentimeter am Tag.

Und doch ist er lebendig. Immer wieder lösten sich kleine Steinlawinen, fielen krachend ins Geröll oder platschten in die dunklen Wasser, wo sie auf der gegenüberliegenden Seite sanfte Wellen warfen – als schicke der Berg seine Botschaften in Kreisen davon.

Es gab keinen angelegten Weg. Wir folgten den Spuren derer, die vor uns gingen, und ich maß meinen Schritt an den beiden nepalesischen Begleitern. Wenn sie beschleunigten, tat ich es auch, als könnte ich so in ihren Rhythmus finden, in die unausgesprochene Weisheit ihrer Schritte.

Die Geräusche des Gletschers begleiteten uns Stunden um Stunden: mal von links, mal von rechts, ein fernes Krachen, ein untergründiges Seufzen. Es war unheimlich und mystisch zugleich – als spräche der Berg selbst, als murmle er eine Geschichte, die keiner ganz verstehen kann.

Kurz vor Dragnak verließen wir dieses lebendige Eis und wandten uns nach links, in ein schmales Tal, dessen steiniger Grund von kniehohen, heidekrautähnlichen Pflanzen überzogen war – ein zarter Teppich, der nach den harten Kanten des Gletschers wie eine Geste des Trostes wirkte.

 

Wir erreichten die Lodge früh am Nachmittag, und es blieb Zeit für ein Lunch, das auch dem Magen wohltat.

 

Der Rest des Tages verlief in jener trägen Ruhe, die nach großen Geräuschen oft folgt. „Fried Noodles“ zum Abend, und das unvermeidliche Würfelspiel, bei dem Dinesh längst mehr Leidenschaft zeigte, als man von einem Spiel erwarten würde.

Doch über allem lag die Ahnung des kommenden Tages. Der Cho La Pass wartete – eine Schwelle, ein Versprechen, vielleicht auch eine Prüfung, die uns morgen aus dem Schoß dieser Gletscherwelt führen würde.

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